Wer sich mit mittelalterlicher Stickerei beschäftigt, steht früher oder später vor derselben Frage: Welche Muster sind tatsächlich belegt und wo findet man brauchbare Vorlagen?

Moderne Stickbücher und Online-Sammlungen greifen häufig auf freie Fantasie oder stark vereinfachte Motive zurück. Für eine historisch orientierte Darstellung – etwa im Reenactment oder in der musealen Vermittlung – lohnt sich der Blick auf erhaltene Originale und zeitgenössische Abbildungen.

Dieser Beitrag sammelt nachvollziehbare Quellen und typische Musterformen, die sich für eine Rekonstruktion mittelalterlicher Stickerei eignen und ich gerne für meine historische Darstellung heranziehe (Marina).

Was ist unter „mittelalterlichen Stickmustern“ zu verstehen

Im Mittelalter existierten keine Musterhefte im heutigen Sinn. Stickmotive wurden:

  • aus bereits vorhandenen Textilien übernommen
  • aus Buchmalerei, Wandmalerei oder Skulptur abgeleitet
  • innerhalb von Werkstätten mündlich und praktisch weitergegeben

Vorlagen im modernen Sinn sind daher immer Rekonstruktionen, die auf erhaltenen Stücken oder Bildquellen beruhen. Entscheidend ist, wie nah sie sich an den belegten Originalen orientieren.

Erhaltene Stickereien als wichtigste Quelle

Die zuverlässigsten Vorlagen liefern originale Textilien, die sich in Museumsbeständen erhalten haben. Besonders häufig finden sich:

  • liturgische Gewänder
  • Altartücher
  • Borten und Besätze
  • Almosen- oder Reliquienbeutel
  • Fragmente aus Gräbern oder Kirchenschätzen

Gut dokumentierte Sammlungen sind unter anderem:

Viele dieser Häuser stellen hochauflösende Detailaufnahmen online zur Verfügung, die sich sehr gut zur Musteranalyse eignen.

Blogs und nicht-museale Websites als Quellen für Stickmuster

 

Neben Museumsdatenbanken gibt es eine Reihe von privaten Blogs und nicht-musealen Websites, die sich intensiv mit historischer Stickerei beschäftigen und auf Basis von Originalfunden rekonstruierte Muster anbieten. Solche Seiten können hilfreich sein, wenn sie ihre Vorlagen transparent herleiten und die zugrunde liegenden Quellen benennen.

Einige werden seit Jahren gepflegt (und werden hoffentlich noch lange weiter betrieben) und sind für Reenactment, Living History oder eigene Projekte hilfreich:

Tieferes Verständnis mittelalterlicher Sticktechniken

Ein praktisches Beispiel dafür, wie sich verschiedene historische Sticktechniken miteinander kombinieren lassen, findet sich auf unserem Blog im Artikel Mittelalterliche Sticktechniken: Vögelchen in Seidenstickerei. Dort dokumentiere ich ein kleines Projekt, bei dem ich mittels Split‑Stich, German Brick Stitch, Kettenstich und Bayeux‑Stich ein vogelmotiviertes Stück nach mittelalterlichen Vorbildern gearbeitet habe. Anhand dieses Projekts lässt sich gut nachvollziehen, wie unterschiedliche Sticharten wirken und welche Wirkung sie auf Fläche, Kontur und Ornamentik haben – auch im Vergleich zu den Mustern und Vorlagen, die hier im Überblick präsentiert werden.

Fertiger Vogel in mittelalterlichen Sticktechniken mit Erklärung

Hinweis des Vereins

Dieser Beitrag versteht sich als Arbeitsgrundlage und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ergänzungen aus eigener Forschung und praktische Erfahrungen sind ausdrücklich erwünscht.

Veröffentlicht in Handwerk, Recherche, Textilhandwerk.