Fundbelege für die Rekonstruktion von spätmittelalterlicher Kleidung

Auf historischen Veranstaltungen und Mittelalterfesten werden wir oft zu unserer Kleidung befragt und woher wir diese haben.

Die Gewandungen von der Stange, die es häufig auf Mittelaltermärkten zu kaufen gibt, entsprechen meist nicht unserer Darstellungszeit und unserem Anspruch. Daher beschäftigen wir uns selbst mit historischen Funden und Bildbelegen und informieren uns über Materialien, Farben und Nähtechniken, bevor wir unsere Kleidung - für Mann und Frau - selbst nähen. Das Wissen und die Erfahrungen, die wir dabei sammeln, geben wir intern unseren Vereinsmitgliedern weiter.

Zur Untermauerung, an welchen Funden wir uns für unsere Kleidung orientieren, werden in diesem Artikel Ausgewählte genannt - dieser erhebt aber keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit.

Textilfunde von Herjolfsnæs (Grönland)

Die gefundenen Kleidungsstücke stammen vom Friedhof in Herjolfsnes, Grönland, und sind im Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen zu sehen.

Der Fundkomplex aus der Zeit von 1300 bis ca. 1420 besteht aus 30 Tuniken, 17 Gugel, 5 Hüte und 6 Strümpfe - damit eine der bedeutendsten Fundquellen für spätmittelalterliche Textilien.

Die Kleidungsstücke sind in grönländischer Schafwolle gewebt und entsprechen vom Aussehen her zeitgenössischen Illustrationen.

 

Literatur:

  • Fransen, Lilli; Nørgaard, Anna; Østergård, Else (2011): Medieval garments reconstructed. Norse clothing patterns.
  • Østergård, Else (2004): Woven into the earth. Textiles from Norse Greenland.

Tunika aus den Herjolfsnes-Funden, datiert um 1400
(Quelle: https://samlinger.natmus.dk/dmr/asset/167951)

Die Textilien des Bockstenmanns (Schweden)

Der Bockstenmann ist eine Moorleiche aus einem schwedischen Hochmoor mit beinahe vollständig erhaltener Kleidung eines Mannes: eine Gugel, ein Mantel, eine Tunika, eine Hose, Lederschuhe und Beinlinge.

Der Fund wurde textiltypologisch in den Zeitraum 1290 bis 1430 datiert.

 

Literatur:

  • Wijnand van der Sanden: Mumien aus dem Moor. Die vor- und frühgeschichtlichen Moorleichen aus Nordwesteuropa. Batavian Lion International, Amsterdam 1996, ISBN 90-6707-416-0, S. 85 (niederländisch, Originaltitel: Vereeuwigd in het veen. Übersetzt von Henning Stilke).
  • Bocksten Man Exhibition im Halland Museum: https://museumhalland.se/en/show-item/the-bocksten-man-exhibition/

Die Textilfunde von Schloss Lengberg (Osttirol)

Im Rahmen von Umbaumaßen ab Juli 2008 auf Schloss Lengberg bei Nikolsdorf, Osttirol, wurden Textilien als Füllmaterial gefunden.

Im Fundgut wurden teils fast vollständig erhaltene Kleidungsstücke, aber auch Textilfragmente aus dem 15. Jahrhundert gefunden: u.a. Leinentextilien, die einem modernden BH ähneln; Fragmente von Leinenhemden mit Fältelung an Kragen und Ärmeln; eine leinene Unterhose; uvm.

 

Literatur:

  • Nutz, Beatrix, Marion McNealy, and Rachel Case. “The Lengberg Finds. Remnants of a Lost 15th Century Tailoring Revolution. NESAT XIII.” Archaeological Textiles – Links Between Past and Present. NESAT XIII, 2017.
  • Beatrix Nutz, Rachel Case, Carol James, Aunique survival: A woman´s fifteenth-century headdressfrom LengbergCastle, East Tyrol. In: Frances Pritchard(ed,), Crafting Textiles: Tablet Weaving, Sprang, Lace andother Techniques from the Bronze Age to the Early 17thCentury, Ancient Textiles Series 39 (Oxford 2021), 147-174.

Schloss Lengberg, Osttirol – leinener „BH“ aus dem 15. Jahrhundert (großes Bild) im Vergleich mit einem Longline-BH aus den 1950er Jahren (kleines Bild unten links) (Foto: © Institut für Archäologien)
https://shorturl.at/pSW25

Die sogenannten London-Funde

Die Fülle an Kleidungs- und Textilfunden von Ausgrabungen mittelalterlicher Stätten in London geben einen Einblick in die Mode- und Textilindustrie Englands zwischen 1150 und 1450.

Schnitte, Nähtechniken, Farbstoffe uvm. können von diesen Funden sehr gut abgeleitet werden.

 

Literatur:

  • Crowfoot, Elisabeth; Pritchard, Frances; Staniland, Kay; Museum of London (2001): Textiles and clothing, c.1150-c.1450. Woodbridge: Boydell Press (Medieval finds from excavations in London).
  • Egan, Geoff; Pritchard, Frances (2002): Dress accessories. C.1150 – c.1450. New. ed., [2. ed.]. Woodbridge: Boydell Press (Medieval finds from excavations in London, 3).

Je nachdem, welches Kleidungsstück wir für unsere spätmittelalterliche Darstellung rekonstruieren möchten, recherchieren wir tiefer und suchen konkrete, europäische und regionale Funde für bspw. Gugeln oder Kopfbedeckungen.

Die Fundbelege stellen jedoch nur eine Grundlage für unsere Rekonstruktion dar - eine konkrete Schnittvorlage ist dann noch lange nicht erstellt. Die genaue Passform am Träger und regionale Feinheiten lassen sich von den Funden oft nicht genau ableiten. Deshalb vergleichen wir die Textilfunde mit Abbildungen unserer Darstellungszeit und unserer Region und leiten davon einen geplanten Schnitt ab. Letztendlich wird das Schnittmuster am Träger selbst abgemessen und abgesteckt - erst dann nehmen unsere Kleidungsstücke richtig Form an.

Die Geschichte Tirols zwischen 1373 und 1395

Tirol 1373: Die großen Pestwellen (1348-53) sind vorbei und das Land im Gebirge ist seit zehn Jahren Teil der Habsburger Erblande. Regent ist Herzog Rudolf IV. „der Stifter“, der Tirol 1363 von Margarete von Tirol, genannt „Maultasch“ mangels Erben übertragen bekommen hatte. Seitdem kontrollieren die Habsburger die wichtigsten Passverbindungen der Nord-Süd-Handelsroute zwischen Deutschland und Italien. Nachdem der Herzog von Österreich überraschend am 27. Juli 1365 in Mailand stirbt, fällt das begehrte „Land ob der Etsch und im Inntal“ an seine jüngeren Brüder Albrecht III. (damals 15 oder 16 Jahre) und Leopold III. (14 Jahre), die gemeinsam hätten regieren sollen, sich aber bald heillos zerstreiten und ihren Besitz 1379 im Vertrag von Neuberg teilen. Fortan ist Leopold III. „der Gerechte“ der Graf von Tirol.

Tirol 1379: Leopold III., der von zeitgenössischen Chronisten als ehrgeizig und tatendurstig beschrieben wird, weiß schon bald seinen Einflussbereich und seine Ländereien auszuweiten. Zwischen 1368 und 1386 erwirbt er durch politisches Geschick, finanzielle Kaufkraft und Erbfolge Freiburg im Breisgau, Besitztümer in Istrien und der Windischen Mark, Feldkirch (1375), Triest (1382) und Laufenburg in der Schweiz. Weiters hält er die Reichsvogtei über Basel und kann die Stadt ab 1376 für eine Dekade unter habsburgische Dominanz bringen.

Durch gezielte Privilegienvergabe an die Städte (zB Bozen, Meran) versucht Leopold III. „der Gerechte“ in den 1380er Jahren, den Handel zu fördern und trägt somit zum Aufstieg des Bürgertums in den Tiroler Städten bei. Als er 1386 in Sempach im Kampf gegen die Schweizer Eidgenossen stirbt, fällt Tirol zurück an seinen Bruder Albrecht III., der als Vormund für Leopolds unmündige Söhne fungiert und regiert.

Tirol 1395: In diesem Jahr scheidet auch Albrecht III. dahin und das Land wird zum Zankapfel der Habsburger Erben, bis sich 1406 schließlich Friedrich IV. „mit der leeren Tasche“ als Landesfürst durchsetzen kann.

Zeittafel

1373 Die Habsburger Herzöge Albrecht III. und Leopold III. teilen sich die Regentschaft Tirols
1379 Vertrag von Neuberg – Tirol geht an Leopold III., „der Gerechte“
1380er Stadtprivilegien verhelfen dem Bürgertum zum Aufstieg
1386 Leopold III. fällt bei Sempach im Kampf gegen die Eidgenossen, sein Bruder Albrecht III. übernimmt wieder die Regierungsgeschäfte in Tirol
1395 Nach dem Tode Albrechts III. erbt dessen Sohn Albrecht IV. die Regentschaft, aber schon bald gelingt es den Söhnen Leopolds, wieder an der Regierung teilzuhaben.

Die einflussreichsten Tiroler Städte

Die wirtschaftlichen Zentren im 14. Jahrhundert sind:

Meran – Stadt seit 1317 – war im 14. Jahrhundert die Hauptstadt der Grafschaft Tirol und wurde von Leopold III. mit zahlreichen landesfürstlichen Privilegien zur Förderung des Handels ausgestattet;

Bozen – Stadt seit 1265 – dominierte als DAS Handelszentrum Tirols auch das wesentlich früher mit dem Stadtrecht ausgestattete Innsbruck und erhielt 1381 von Herzog Leopold III. zusammen mit einem Ratsprivileg sein Stadtwappen;

Hall in Tirol – Stadt seit 1303 – lag nicht nur auf der Italien-Transitroute, sondern war als Hafen der Innschifffahrt und der Haller Saline auch ein wichtiges Handelszentrum;

Innsbruck – Stadterhebung zwischen 1187 und 1205 – erlangte Bedeutung als Zollstation, die den ostalpinen Handelsverkehr über die Brennerstrecke (Via Raetia) schleuste, welche bereits um 1300 befestigt und weitgehend mit Wagen befahrbar war, während die anderen Alpenübergänge wie die Via Claudia Augusta noch längere Zeit nur mit Saumtieren begehbar blieben

 

Quellen

  • Brandstätter, Klaus (2000): Aktionsradius und wirtschaftliche Orientierung städtischer Eliten in Tirol im späten Mittelalter. In: Ville et montagne – Stadt und Gebirge, redigiert von Thomas Busset, Luigi Lorenzetti und Jon Mathieu (Histoire des Alpes – Storia delle Alpi – Geschichte der Alpen 5), Zürich 2000, S. 45-61
  • Stolz, Otto (1932): Zur Verkehrsgeschichte des Inntales im 13. und 14. Jahrhundert. Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 012: S. 69–109
  • http://www.tirolmultimedial.at/tmm/themen/0507.html
  • Landesarchiv Tirol
  • Wikipedia