Kleiner Vogel in mittelalterlichen Sticktechniken

Mittelalterliche Sticktechniken: Vögelchen in Seidenstickerei

Dieser kleine Vogel (ein Art Pfau) entstand als Experiment, um verschiedene mittelalterliche Sticktechniken in der Praxis zu vergleichen. Das Motiv ist an die Pfauen des berühmten Bayeux-Teppichs des 11. Jahrhunderts angelehnt – eines der bekanntesten erhaltenen Beispiele mittelalterlicher Stickkunst.

Gestickt wurde ausschließlich mit feiner Seide von Devere Yarns auf Leinen, ganz im Sinne historischer Materialien und Arbeitsweisen.

Split-Stich – für Konturen und Details

Der Split-Stich (engl. split stitch) entsteht, indem man mit der Nadel in den bereits gelegten Faden einsticht und diesen „teilt“. Er ergibt eine feine, dichte Linie und wurde im Hochmittelalter besonders für Gesichtszüge, Konturen und feine Ornamente verwendet. Bekannt ist der Split-Stich vor allem aus der englischen Opus-Anglicanum-Stickerei, wo er in Kombination mit Goldfäden auf Seidengrund vorkommt.

Ich habe dunkelroten Seidenfaden verwendet, um die Konturen des Vögelchen und ein paar Details, wie die Umrandung des Auges und die Abteilungen beim Flügel, zu "zeichnen".

Belege:

  • Opus Anglicanum-Stickereien, England, 13.–14. Jh., etwa Jesse Cope (V&A Museum, Inv. 8615-1863).
  • Literatur: Kay Staniland, Medieval Craftsmen: Embroiderers, British Museum Press, 1991.
German Brich Stitch als mittelalterliche Sticktechnik

German Brick Stitch – für den Körper

Der German Brick Stitch war im 13. bis 15. Jahrhundert in Mitteleuropa weit verbreitet. Er kommt in zahlreichen Funden aus Deutschland und den Niederlanden vor, meist auf kleinen Textilien wie Almosen- und Reliquienbeutel oder kirchlichen Behängen. Die Stiche werden in horizontal versetzten Reihen gesetzt, was dem Muster das charakteristische „Backstein“-Aussehen verleiht.

Für das Vogelgefieder habe ich ein Muster des Wandbehangs aus Hildesheim, Deutschland, aus dem 14. Jahrhundert, heute im Metropolitan Museum of Art in New York (Inv. 468750, Objektnummer 69.106), gewählt und mit Seide in Blau- und Grüntönen gestickt.

Belege:

  • Zahlreiche Fragmente aus dem Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv. Textil 16/61, 13.–14. Jhd.
  • Vgl. auch: Renate Kroos, Mittelalterliche Textilien II: Stickereien 1200–1500, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1977.

Kettenstich – für Kopf, Schnabel und Füße

Der Kettenstich (engl. chain stitch) gehört zu den ältesten bekannten Sticktechniken. Er wurde bereits in byzantinischen und frühmittelalterlichen Textilien verwendet und blieb über Jahrhunderte beliebt.
Die typische kettenförmige Linie entsteht durch das wiederholte Einfassen des Fadens mit der Nadel. Im Mittelalter nutzte man den Kettenstich häufig für Konturen, Ornamentbänder und Details.

Belege:

  • Kettenstich findet sich u. a. in byzantinischen Textilien (9.–12. Jh.) und im englischen Opus Anglicanum (13.–14. Jh.).
  • Beispiel: Syon Cope, England, ca. 1310 – 1320 (Victoria and Albert Museum, Acc. Number: 83-1864).
Fertiger Vogel in mittelalterlichen Sticktechniken
Fertiger Vogel in mittelalterlichen Sticktechniken mit Erklärung

Bayeux-Stich  – für den Flügel

Der Bayeux-Stich (engl. laid work) ist nach dem Bayeux-Teppich benannt, einem 70 m langen bestickten Leinenband aus dem späten 11. Jahrhundert, das die normannische Eroberung Englands zeigt.
Dabei werden lange Spannfäden über eine Fläche gelegt und anschließend mit feinen Überfangstichen fixiert.
Die Technik ist sowohl effizient als auch dekorativ und eignet sich hervorragend, um große Flächen mit Glanz und Struktur zu füllen.

Belege:

  • Tapisserie de Bayeux, Normandie, ca. 1070 (Bayeux Museum, Frankreich).
  • Fachliteratur:
    • Shirley Bloom, The Bayeux Tapestry Embroiderers’ Story, 2005.
    • Gale R. Owen-Crocker, The Bayeux Tapestry: Collected Papers, 2021.

Fazit

Mich fasziniert, wie unterschiedlich die vier mittelalterlichen Sticktechniken wirken, obwohl sie alle mit denselben Materialien gearbeitet sind. Beim Sticken dieses kleinen Vogels konnte ich gut nachvollziehen, wie viel Struktur, Glanz und Ausdruck jede Technik auf ihre eigene Weise erzeugt und ist ein schönes Stück für meinen Schautisch "Mittelalterlicher Stickerei" geworden.

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