Hypocras – Gewürzwein nach historischen Rezepten aus Mittelalter und Renaissance

Hypocras (auch: Ypocras, Hippocras), ein gewürzter und gesüßter Wein, war im Mittelalter und in der Renaissance ein beliebtes Getränk bei Festmählern, in Apotheken und an fürstlichen Tafeln. Seine Kombination aus Wein und (damals) teuren Gewürzen machte ihn zum Symbol von Genuss, Luxus und Wohlstand – doch Hypocras galt auch als wohltuend für die Verdauung.

In diesem Beitrag vergleichen wir Originalrezepte aus verschiedenen europäischen Kochbüchern.

Historische Hypocras-Rezepte im Vergleich

Die folgenden Rezepte stammen aus handschriftlichen oder gedruckten Kochbüchern vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Sie zeigen die große Bandbreite an Zutaten.

Bildquelle: Gewürzhändler. Nürnberg, Stadtbibliothek, Amb. 317.2° (Mendel I), fol. 75r

Quelle

Rezeptname

Gewürze

The Forme of Cury
(England, 1390)
Pur fait ypocras Zucker, Zimt, Ingwer, Spikenard, Galgant, Gewürznelken, langer Pfeffer, Muskatnuss, Majoran, Kardamom, Paradieskörner, Quendel (vermutlich)
Le Viandier de Taillevent
(Frankreich, ca. 1380)
Ypocras Zucker, Zimt, Muskatnuss, Gewürznelken, Paradieskörner
Ménagier de Paris
(Frankreich, Ende 14. Jahrhundert)
Pour faire ung lot de bon ypocras Zucker, Zimt, Ingwer, Galgant
The Good Huswifes Jewell
(England, 1596)
To make Hypocrase Zucker, Zimt, langer Pfeffer, Muskatblüte, Paradieskörner, Galgant, Nelken
Darstellung eines mittelalterlichen Gewürzhändlers aus dem Mendelhaus, Nürnberg, 15. Jahrhundert – typische Handelsware für Hypocras-Zutaten wie Zimt, Nelken und Muskat.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die Zutatenlisten zeigen, dass Zimt, Ingwer und Zucker zu den häufigsten Bestandteilen gehörten. Galgant und Pfeffer wurden auch gerne verwendet, ergänzt kann die Gewürzmischung mit Muskatnuss, Muskatblüte, Paradieskörner, Nelken, Kardamom und anderen Gewürzen werden. Auch die verwendete Weinsorte variiert: Rotwein war üblich, manchmal wurde auch Weißwein genutzt, z.B. explizit bei dem Rezept aus dem The Good Huswifes Jewell (1596) erwähnt.

Hypocras-Rezept aus dem Forme of Cury (ca. 1390)

Im berühmten englischen Kochbuch The Forme of Cury, einer Sammlung von Kochrezepten der Köche am Hofe von König Richard II. von England, findet sich eines der ältesten bekannten Rezepte für Hypocras. Es listet eine beeindruckende Vielfalt an Gewürzen auf.

Link zur Transkription des Forme of Cury: https://www.gutenberg.org/files/8102/8102-8.txt

Bildquelle: Forme of Cury, Add MS 5016, https://tinyurl.com/4mdazrc2

Historisches Manuskript „Forme of Cury“ (Add MS 5016), 14. Jahrhundert – eine der ältesten englischen Kochbuchquellen mit einem Rezept für Hypocras.

Pur Fait Ypocras

Treys Unces de canett. & iii unces de gyngeuer. spykenard de Spayn le pays dun denerer, garyngale. clowes, gylofre. poeurer long, noiez mugadez. maziozame cardemonij de chescun i. quart' douce grayne & de paradys stour de queynel de chescun dim unce de toutes, soit fait powdour &c.

Für die Herstellung von Hypocras

3 Unzen Zimt, 3 Unzen Ingwer, Spanischer Spikenard (im Wert eines Deniers – also eine kleine Menge), Galgant, Gewürznelken, Langer Pfeffer, Muskatnüsse, Majoran, Kardamom, je ein Viertel Unze von jeder Zutat: Paradieskörner, gemahlene Queynel (Quendel?), von allen genannten Zutaten eine halbe Unze, alles soll zu einem Pulver gemahlen werden etc.

Altfranzösisches Hypocras-Rezept: Le Viandier de Taillevent (ca. 1380)

Eine der ältesten überlieferten Anleitungen für die Herstellung von Hypocras stammt aus dem berühmten französischen Kochbuch Le Viandier, das dem Hofkoch Guillaume Tirel – besser bekannt als Taillevent – zugeschrieben wird. In der Ausgabe um 1380 findet sich ein Rezept für etwa eine Pinte (rund ein Liter) gewürzten Weins.

Link zur Transkription des Le Viandier: https://www.gutenberg.org/ebooks/26567

Ypocras

Pour faire vne pinte dypocras. il fault trois treseaux de cynamome fine & paree. vng treseau mesche ou deux qui veult. demy treseau girofle & graine de sucre fin six onces & mettes en pouldre & la fault toute mettre en vng couloir auec le vin et le pot dessoubz / et le passez tant quil soit coule & tant plus est passe & mieulx vault / mais que il ne soit esuente.

Hypocras

Um eine Pinte Hypocras herzustellen,
benötigt man drei „treseaux“ feinen, geschälten Zimt,
einen oder zwei „treseaux“ Muskatnuss (wer mag),
einen halben „treseau“ Gewürznelken und Paradieskörner,
sechs Unzen feinen Zucker.
Alles soll zu Pulver zerstoßen und dann zusammen mit dem Wein in ein Durchseihtuch (Filter) gegeben werden, unter dem ein Topf steht.
Lassen Sie es durchlaufen, bis es vollständig gefiltert ist. Je öfter es durchgelassen wird, desto besser wird es – aber der Wein darf dabei nicht auslüften (verfliegen).

Hinweise zur Übersetzung:

  • Treseau / tresel / treseau: Diese Maßeinheit ist schwer zu fassen, vermutlich handelt es sich um eine kleine Gewichtseinheit oder eine standardisierte Gewürzmenge, z. B. etwa 1 Drachme oder ein „Löffelmaß“. Die genaue Umrechnung variiert – vermutlich waren es ca. 3–5 g.
  • „pinte“: Eine mittelalterliche Volumeneinheit – vermutlich ca. 0,95 Liter (entspricht einer englischen Pinte)
  • „mesche“: Hier wohl noix muscade (Muskatnuss) gemeint – das Wort ist kontextuell nicht sicher, daher im Rezept als Muskatnuss interpretiert.
  • „girofle & graine“: Gemeint sind Nelken (girofle) und vermutlich Paradieskörner (graine de paradis), ein in Hypocras häufig verwendetes Gewürz.
  • „ne soit esuente“: Der Wein soll nicht „verfliegen“ – also nicht offen stehen oder zu lange an der Luft sein, da er sonst sein Aroma verliert.

Hypocras nach Art des Languedoc – Ein Rezept aus dem Ménagier de Paris (Ende 14. Jahrhundert)

Ein besonders interessantes Rezept für Hypocras findet sich in einer späteren Ergänzung des französischen Haushaltsbuchs Le Ménagier de Paris (Ende des 14. Jahrhunderts). Dieses Rezept ist jedoch nicht in allen Handschriften enthalten – es stammt vermutlich aus dem 15. Jahrhundert und ist nur in einem von drei bekannten Manuskripten überliefert. Herausgeber Jérôme Pichon hat es 1847 in einem Anhang seiner zweibändigen Edition veröffentlicht (Band 2, S. 273).

Pour faire ung lot de bon ypocras.

Prenes une onches de cinamonde nommée longue canelle en pippe, avec unes cloche de gingembre et autant de garingal, bien estampé ensemble, et puis prenez ung livre de bon çuquere: et tout cela broyés ensamble et destrempés avec ung lot du milleur vin de Beaune que pourrés finer et le laissir tremper ungne heure ou deux. Et pus coullés parmy ung chause par plusieurs fois tant qui soit bien cler.

Um ein Maß guten Hypocras herzustellen

Nimm eine Unze Zimt, genannt „lange Zimtstange“, dazu einige Stücke Ingwer und ebenso viel Galgant. Alles gut zerstampfen. Dann nimm ein Pfund feinen Zucker, zerstoße alles zusammen nochmals und vermische es mit einem Maß des besten Beaune-Weins, den du bekommen kannst. Lass dies eine oder zwei Stunden ziehen. Danach seihe es mehrmals durch ein Tuch, bis der Wein klar ist.

Hinweise zur Übersetzung:

  • Beaune ist eine französische Stadt in Burgund.
  • "cloche de gingembre" ist  ein "Stück Ingwer", wörtlich "eine Glocke Ingwer" – wahrscheinlich ein Knollenabschnitt.

Quelle:

Ein weiteres englisches Hypocras-Rezept aus Thomas Dawson’s The Good Huswifes Jewell (1596)

Ein weiteres interessantes englisches Rezept für Hypocras stammt aus The Good Huswifes Jewell von Thomas Dawson aus dem Jahr 1596. Es verwendet Weißwein als Basis. Dieses Rezept veranschaulicht, wie beliebt süß gewürzter Wein auch in der elisabethanischen Küche war.

To make Hypocrase.

Take a gallon of white wine, suger two
pound, of sinamon ij d. ginger ij d. long
Pepper ij d. Mace ij d. not brused, Graines
ij d. Gallingall j d.od. Cloues not brused,
you must bruse euery kinde of spice a litle, &
put them in an earthen pot all a day, & then
cast them through your bags two times or
more as you see cause, and so drinke it.

Um Hypocras zu machen

Nimm eine Gallone Weißwein, zwei Pfund Zucker, von Zimt zwei Pence, Ingwer zwei Pence, langer Pfeffer zwei Pence, Muskatblüte (Macis) zwei Pence (nicht zerstoßen), Paradieskörner zwei Pence, Galgant eineinhalb Pence, Nelken (nicht zerstoßen).
Man soll jede Gewürzsorte ein wenig zerstoßen und sie den ganzen Tag in einem irdenen Topf ziehen lassen. Danach gießt man die Mischung ein- oder mehrmals – je nach Bedarf – durch einen Filterbeutel. Dann trinkt man sie.

Hinweise zur Übersetzung:

  • Die Abkürzung „ij d.“ steht für „2 pence“ (englische Münzeinheit), was als Mengenangabe für den Einkauf von Gewürzen dient.
  • Die „bags“ meinen sogenannte Hippocras-Tücher – feine Filtertücher oder -beutel, oft aus Leinen, durch die der gewürzte Wein geklärt wurde.
  • Das Rezept sieht Weißwein vor, was bei Hypocras eher selten ist.

Die Süßung von Hypocras: Zuckerhüte und Honig im Mittelalter

Ein wesentlicher Bestandteil historischer Hypocras-Rezepte ist Zucker – und zwar in einer Form, die uns heute fast exotisch vorkommt: als Zuckerhut. Bereits im 14. Jahrhundert wurde Zucker aus Zuckerrohr in mediterranen Regionen wie Sizilien produziert. Die aus dem Zuckerrohr gewonnene Zuckerlösung wurde raffiniert, kristallisiert und schließlich zu kegelförmigen Zuckerhüten gepresst. Diese waren leicht zu transportieren und im gesamten Europa als Handelsware verbreitet.

Auch wenn sich die Produktionsmethoden bis heute verändert haben, sind Zuckerhüte in ähnlicher Form noch erhältlich. In Deutschland kennt man den Zuckerhut als Bestandteil des traditionellen Feuerzangenbowle-Getränks – einer modernen Verwandten des Hypocras. In marokkanischen Läden findet man größere Zuckerhüte, die als Gastgeschenk dienen und in Stücke gebrochen zur Süßung von Minztee verwendet werden.

Wer selbst mal einen Zuckerhut zubereiten möchte, kann sich an diesem Video orientieren: https://www.youtube.com/watch?v=G97EUIRVMQ8

 

Hypocras mit Honig süßen

Neben Zucker wurde im Mittelalter aber auch Honig als Süßungsmittel für Hypocras verwendet – vor allem in Regionen oder Zeiten, in denen raffinierter Zucker schwerer zu beschaffen oder teurer war. Honig galt nicht nur als natürliches Süßungsmittel, sondern hatte auch symbolische und medizinische Bedeutung. In manchen Rezepten wurde der Wein direkt mit Honig aufgekocht, was dem Getränk eine besonders dichte, aromatische Note verlieh.

Mittelalterliche Darstellung von Zuckerhut im Tractatus de Herbis (Dioscorides, 15. Jh.), verwendet als Gewürz im historischen Hypocras-Wein

Bei unseren Vereinsabenden und Mittelalter-Events darf Hypocras natürlich nicht fehlen. In unserem Verein experimentieren wir regelmäßig mit historischen Hypocras-Rezepten – bei Veranstaltungen laden wir Interessierte gerne dazu ein, eine Kostprobe dieses mittelalterlichen Gewürzweins zu genießen.

Veröffentlicht in Geschichte, Kochen.